Ich habe mit sechzehn aufgehört, Fleisch zu essen. Ich hatte meine Gründe, ich wollte auch gar nicht sonderlich darüber reden, ich mochte einfach nur keine toten Tiere mehr essen. Ich habe auch, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ keinen Zimt und keinen Meerrettich, keinen Ingwer und keine Muscheln gegessen; die Gründe waren andere und darüber reden wollte ich ebenfalls nicht sonderlich. Lustigerweise hat auch über Zimt, Ingwer, Meerrettich und Muscheln nie jemand mit mir sprechen wollen; wenn ich allerdings erwähnte, dass ich kein Fleisch esse, dann hatte immer wer was zu sagen. Ich erinnere mich an ein Kurstreffen in der Schulküche, wo meine Klasse… äh Kurskameraden mich dazu zwangen zuzusehen, wie sie ein Hühnchen zerfetzten. Ich erinnere mich an meinen Vater, der mir jeden Mittag ein Stück Fleisch auf den Teller legte, als er für die allmittägliche Versorgung seines Teenagers verantwortlich wurde. Ich wurde älter, die Situationen wurden etwas weniger drastisch, aber noch vor ein paar Wochen landeten wir zufällig mit einer entfernten Bekannten nach dem Kino noch zum Essen in einer Kneipe. Als die Liebste und ich uns erfreut auf die große Auswahl fleischfreier Gerichte aufmerksam machten, begann sie ungefragt einen zwanzigminütigen Monolog darüber, dass sie ja nicht ohne Fleisch könne. Dass sie natürlich! auf gute Qualität achte und das auch eigentlich bewundere … aber dass natürlich so ein schönes Schnitzel in der Pfanne … und ob wir denn keine gesundheitlichen Probleme … und auch keinen Fisch? … aber doch nicht etwa vegan??? … keine Gummibärchen, haha? Ach so, Gelatine, jaja … also so ein Schnitzel … und ob es uns denn jetzt stören würde, wenn sie Fleisch äße? Ich sprach gegen alle sozial akzeptierten Höflichkeitsgrenzen und vor allem über mein eigenes Höflichkeitsempfinden hinweg, dass es mich zwar nicht störe, wenn sie äße, was sie wolle. Dass mich aber die detaillierten Schilderungen ihrer geliebten Schnitzelchen oder Steaks und des Geruchs und des Gefühls eines schönen Stücks Fleisch so nahe an meine Ekelgrenze brächten, dass mir der Spaß an meinem Essen gleich verleidet wäre. Also genauer: Dass sie mir den Spaß gerade verleide. Oh sorry! entschuldigte sie sich, es wäre ja nur so, dass sie den Geruch sehr gerne hätte, ich wisse doch bestimmt: Der Geruch, wenn so ein Schnitzel … Schnitt. Wer mit mir bei Facebook befreundet ist, der weiß: Ich werfe da gelegentlich mal ein vegetarisches Rezept, eine Fleischersatzempfehlung und selten auch mal einen Link zum Beispiel zu einem Artikel über Massentierhaltung hinein. Ich achte dabei darauf, dass man nach dem Klicken des Links nicht direkt ein Bild eines leidenden Tieres vor Augen hat und da schon ich selber vieles gar nicht lesen und sehen möchte sind die Artikel meist sehr zartgemütkompatibel. Ich stehe zum Beispiel überhaupt nicht auf die missionarische Drastik, mit der manch veganer Verein versucht zu überzeugen – das ist eine andere Philosophie, die vielleicht auch ihre Berechtigung hat – aber es ist nicht meins. Ist aber total egal, es hat sich seit der Teenagerzeit wenig geändert – erwähne ich meinen nicht-Fleisch-Konsum oder werfe so einen Link ins die weite Web-Welt, dann beginnt der Mini-Shitstorm. Meist lässt sich das recht zuverlässig in drei verschiedene Kategorien aufteilen: Rechtfertigungen, dumme Sprüche und ernsthaftes Ausdiskutieren. Die Rechtfertigungen habe ich oben schon beschrieben: »Ich ess’ ja nur Biofleisch und höchstens einmal die Woche«. Wenn übrigens alle so wenig Fleisch essen würden, wie sie in Unterhaltungen mit Vegetariern behaupten, dann gäbe es keine Massentierhaltung mehr und jedes Ferkel würde totgeschmust. Die dummen Sprüche tun das, was dumme Sprüche immer tun: Sie denken nicht nach und gehen nicht wirklich tief. (»Du isst meinem Essen das Essen weg« finde ich zum Beispiel wirklich lustig) Die Diskutanten hingegen versuchen mir zu erklären, dass mein Gebiss und mein Darm und im Zweifelsfall vielleicht sogar meine Psyche ernsthaften Schaden an meiner Ernährung nehmen. Dass die Tiere einen ganz humanen Tod sterben, dass die Evolution oder Gott das Schwein zum Essen und den Hund zum Wiederbringen von Stöckchen gemacht hat und dass es eben einfach so ist und dass ich da was falsch mache. Lasse ich mich aber auf so eine Diskussion ein, dann folgt mit Garantie nach zweimaligem Hin und Her Kategorie drei, die sich mit folgenden Worten zusammenfassen lässt: »Immer müsst Ihr Vegetarier versuchen, uns unser Essen auszudiskutieren« Und wisst Ihr was? Ich bin’s langsam leid. Seien wir doch mal ehrlich: Ihr wollt die Bilder aus den Schlachthöfen nicht sehen, weil Ihr – genau wie ich – spontan erbrechen müsstet. Ihr wollt aus dem gleichen Grund nicht wissen, was Formfleisch bedeutet, wenn Ihr den lecker Kochschinken auf den Toast legt. Ihr wollt den Zusammenhang zwischen dem niedlichen Kälbchen und Eurem Steak nicht wissen und die wenigsten von Euch könnten ein Tier töten. Und wenn Ihr zulassen würdet darüber nachzudenken, wie viel Nahrung dafür verbraucht wird, Tiere zu Nahrung zu verarbeiten, dann wären auch Euch zwei, drei Konsequenzen klar. Und das ist auch gut so. Das ist menschlich, das ist empathisch und das ist schön. Genau so menschlich ist aber auch der Zwiespalt, wenn man was Blödes erkennt und eigentlich sein eigenes Verhalten ändern müsste. Niemand mag sich wirklich gerne mehr einschränken als sich mit einem Austausch von Glühbirne gegen Energiesparfunzel erledigen lässt – alles andere ist lästig, nervig, anstrengend und dringend zu vermeiden. Da ist es total normal, lieber die Augen zuzumachen und gedanklich das große Schlimme ganze möglichst weit vom eigenen kleinen Schnitzelchen zu entfernen. Aber wisst Ihr was? Haltet doch einfach mal die Fresse und macht das mit Euch selbst und nicht mit mir aus. Vor allem nicht, wenn ich gerade etwas essen möchte. Ich habe keine Lust mehr, mir jedes Mal, wenn Ihr bei mir mitbekommt, dass ich kein Fleisch esse, Eure gesamten Gewissensbisse anzuhören und für Euch in den Stellverteter-Diskussionen darin die Rolle des Feindbildes zu übernehmen. Ich schrieb oben, ich wäre nicht gerne missionarisch unterwegs und das ist so und das möchte ich auch so. Aber ich schwöre Euch, ich bin gerade zu meinem eigenen Unwillen dabei, missionarisch zu werden. Und das wird nicht schön, denn dann kotzen wir gemeinsam auf den Teller.