From Crippled Mockingbird, 5 Years ago, written in Plain Text.
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  1. «Ich bin extrem normal»
  2. 12. Mai 2010
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  8. Das «Türli» ob Männedorf. Viel Wald, Weiden und weit unten der Zürichsee, eine schöne Gegend, ideal für Spaziergänge und Bike- Touren. Martin Schenkel wohnt mit seiner Familie in einer der umliegenden Gemeinden; er nutzt das Gebiet, um sich zwischen Dreharbeiten und Musikproben aktiv zu erholen. So fährt der Basler Schauspieler und Musiker denn auch mit dem Mountainbike an der SF-Feuerstelle vor. Und kramt eine Flasche Wein aus seinem Rucksack. «Vom Rebberg meines Schwiegervaters», sagt er, «dem höchstgelegenen Rebberg Europas.»
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  10. Schweizer Familie:
  11. Das passt ja ausgezeichnet zur Grillade. Offenbar gehen Sie oft grillieren.
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  13. Martin Schenkel:
  14. In der Fantasie schon, ja. Und auch zu Hause grillieren wir oft. Zudem liebe ich die Vorstellung, mit Kollegen und Verwandten im Wald zu hocken und zu bräteln.
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  16. SF:
  17. Demnach kannten Sie diese Feuerstelle bereits?
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  19. Schenkel:
  20. Nein, aber ich werde mir die Stelle merken. Auf meinen Biketouren komme ich oft hier vorbei.
  21.  
  22. SF:
  23. Sie sind erst kürzlich von Zermatt hierhin an den Zürichsee gezogen. Gefiel es Ihnen nicht mehr im Walliser Kurort?
  24.  
  25. Schenkel:
  26. Doch, es war wunderschön, man hatte seine Ruhe, und zudem hat Zermatt die höchste Bar-Dichte Europas. Aber für mich liegt es viel zu weit weg – ich arbeite vorwiegend in Zürich und Basel.
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  28. SF:
  29. In Zermatt kamen Sie zumindest zum Snowboarden. Sie fahren doch Snowboard?
  30.  
  31. Schenkel:
  32. Nein, ich snöbe nicht. Ich habe es zwar einmal versucht, doch Skifahren kann ich besser. Ich müsste wohl sieben Jahre üben, bis ich auf dem Brett so weit wäre wie auf den Skis.
  33.  
  34. SF:
  35. Wollen Sie denn in allem, was Sie tun, sehr gut sein?
  36.  
  37. Schenkel:
  38. Irgendwie schon. Wenn ich etwas halbbatzig mache, macht es mir über kurz oder lang keinen Spass mehr. Ich habe schon viel angefangen in meinem Leben, aber wenn mich etwas nicht überzeugt, lasse ich es wieder sein.
  39.  
  40. SF:
  41. Haben Sie sich schon einmal in der Bildhauerei oder in der Malerei versucht?
  42.  
  43. Schenkel:
  44. Gemalt habe ich schon oft, und ich male immer wieder. Vor einem Jahr habe ich sogar ein Bild während einer Fernsehsendung gemalt, ein Selbstporträt. Es wurde für 1000 Franken versteigert.
  45.  
  46. SF:
  47. Und ein Buch haben Sie auch schon geschrieben?
  48.  
  49. Schenkel:
  50. Nein, aber ich wurde schon von einem renommierten Verlag angefragt. Ich hatte dann tatsächlich damit begonnen, Titel: «Der Indianer in mir». Aber wie sagt doch ein chinesisches Sprichwort: «Wenn du versuchst, zwei Hasen zu fangen, fängst du gar keinen.» Also habe ich das Schreiben gelassen.
  51.  
  52. SF:
  53. Aber mit der Musik und der Schauspielerei jagen Sie bereits zwei Hasen.
  54.  
  55. Schenkel:
  56. Nein, ich kann diese beiden Dinge nicht gegeneinander laufen lassen. Mir macht beides Spass, und ich will nicht, dass es sich konkurriert. Im Moment ergänzen sie sich wunderbar. Im Januar und Februar stand ich für den Film «Im Namen der Gerechtigkeit » (am 13. Januar im SF DRS) vor der Kamera; kürzlich konnte ich dazu noch den Titelsong liefern. Wie auch bei «Lüthi und Blanc». Film braucht immer Musik.
  57.  
  58. SF:
  59. Als Schauspieler sind Sie den Zwängen von Regie und Drehbuch unterworfen, als Musiker jenen Ihrer Plattenfirma. Wie schaffen Sie sich Ihre künstlerischen Freiräume?
  60.  
  61. Schenkel:
  62. Das ist eines meiner grössten Probleme. In der Musik ist es einfacher, da bin ich der Chef. Wenn ich keine Lust zu etwas Bestimmtem habe, sage ich das. Beim Schauspiel ist es schwieriger. Da liegen Drehbücher vor, der Regisseur ist der König, und was er sagt, das gilt. Glücklicherweise hatte ich nie einen Regisseur, der das ausnützte. Auch Markus Fischer nicht, mit dem ich «Big Deal» drehte – er wird im April 2002 im Fernsehen DRS gezeigt. Sowohl mit Jäger als auch mit Fischer hatte ich eine wunderbare Zusammenarbeit. Kommt noch hinzu, dass ich nicht auf Gedeih und Verderb auf Rollen angewiesen bin. Wenn ich einmal eine längere Schauspielpause habe, konzentriere ich mich auf die Musik. Ich gerate deswegen auch nicht in Panik, wenn einmal während vier Wochen keiner anruft.
  63.  
  64. SF:
  65. Haben Sie heute mit Frau und Kind grössere Existenzängste als früher?
  66.  
  67. Schenkel:
  68. Jetzt sind sie begründeter. Aber die Ängste halten sich in Grenzen, notfalls könnte meine Frau – sie ist Apothekerin – arbeiten gehen.
  69.  
  70. SF:
  71. In «Fascht e Familie» waren Sie der lustige «Flip», Sie hatten das Image eines Bruder Leichtfuss, dann mussten Sie einen Gehirntumor operieren lassen. Hat der Krebs Sie verändert?
  72.  
  73. Schenkel:
  74. Der Veränderungsprozess hält noch immer an. Die überstandene Krankheit ist ständig gegenwärtig. Sie beeinflusst mich jeden Tag in allem, was ich sage und denke… Der Tumor wirkte wie eine Vollbremsung.
  75.  
  76. SF:
  77. Nehmen Sie das Leben nun gelassener?
  78.  
  79. Schenkel:
  80. Eine Zeit lang war ich schon beinahe beängstigend ruhig und ausgeglichen. Ich meditierte täglich, und ich liess alles links liegen, was mir hätte Stress bereiten können. Aber das konnte ich nicht durchziehen, ich hätte den Job wechseln, hätte «aussteigen» müssen.
  81.  
  82. SF:
  83. Haben Sie denn daran gedacht?
  84.  
  85. Schenkel:
  86. Schon. Aber ich habe Frau und Kind. Zudem empfahlen mir auch die Ärzte, sofort wieder einzusteigen. Ich wollte das auch. So schräg das nun auch klingen mag: Seither schreibe ich die besseren Songs (lacht). Jetzt habe ich den Mut, endlich zu mir zu stehen. Das konnte ich zuvor nicht.
  87.  
  88. SF:
  89. Was haben Sie denn verdrängt?
  90.  
  91. Schenkel:
  92. Ich kann es beispielsweise nicht ausstehen, wenn Menschen sich verstellen. Bis zu meiner Krankheit hatte ich aber mein Bedürfnis nach echten Begegnungen völlig vergewaltigt und mich stets mit all jenen eingelassen, die viel Wirbel machen.
  93.  
  94. SF:
  95. War das nicht auch berufsbedingt? Als Schauspieler muss man ja gefallen, man muss ankommen bei den Leuten…
  96.  
  97. Schenkel:
  98. Natürlich. Und da habe ich es noch besser als andere: Ich kann meine Marotten und Ticks ausleben und noch ganz gut damit ankommen.
  99.  
  100. SF:
  101. Als «Flip» sind Sie auch sehr gut angekommen. Hatte Sie der Erfolg überrascht?
  102.  
  103. Schenkel:
  104. Und wie. Ich hatte doch keine Ahnung, was ich da unterschrieb. Ich war viel zu jung und zu dumm. Der Wirbel, der daraufhin losbrach, traf mich völlig unvorbereitet. Plötzlich waren alle nett zu mir, alle kannten mich – dann realisierte ich plötzlich, dass es nicht eigentlich um mich ging. Vor allem, als ich begann, Musik zu machen.
  105.  
  106. SF:
  107. Man wollte Sie als lustigen «Flip», nicht als ernsthaften Musiker?
  108.  
  109. Schenkel:
  110. Offenbar. Es hagelte Beschimpfungen per Post und E-Mail. Und die Presse hielt mir gar vor, dass ich mit meiner Krankheit kokettiere. Das hat mich am meisten verletzt. Aber es gab auch gute Reaktionen.
  111.  
  112. SF:
  113. Zum Beispiel?
  114.  
  115. Schenkel:
  116. Als ich in einer Fernsehsendung über meine Krankheit sprach, rief eine Frau an und bedankte sich bei mir: Meinetwegen habe sie es geschafft, ihre Krankheit zu überwinden. Ich denke, wenn ich nur einer einzigen Person helfen kann, habe ich das Ziel erreicht.
  117.  
  118. SF:
  119. Sie sind ein viel beschäftigter Schauspieler und müssen entsprechend ständig in verschiedene Charaktere schlüpfen. Färbt das nicht auf Ihr Verhalten im Alltag ab?
  120.  
  121. Schenkel:
  122. Je älter ich werde, je länger ich meinen Beruf ausübe, desto mehr versuche ich, Rollenspiele aus meinem privaten Alltag zu verdrängen. Es ist bisweilen schon beinahe extrem, wie normal ich bin. Ich möchte einfach nur noch das tun, was ich fühle und was ich auch wirklich tun will.
  123.  
  124. SF:
  125. Kein Theater mehr, keine Rollenspiele…
  126.  
  127. Schenkel:
  128. Genau. Deshalb habe ich auch grosse Mühe mit Ironie und Sarkasmus. Es ist erschreckend, wie der Sarkasmus im Alltag um sich greift. Da komme ich mir manchmal vor wie ein ausserirdisches Wesen. Seit meiner Krankheit langweile ich mich zu Tode, wenn bei einem Essen nur ironisches, sarkastisches Zeug geredet wird. Das macht mich kaputt, da spiele ich lieber mit meinem Sohn…
  129.  
  130. SF:
  131. …was den bestimmt freut. Bei Ihren vielen Engagements kommt die Familie wohl etwas zu kurz?
  132.  
  133. Schenkel:
  134. Nein, für sie habe ich recht viel Zeit. Dafür sind für mich persönlich die Zeiten der Musse vorbei. Früher konnte ich ungestört zwei Stunden lang an einem Songtext arbeiten, heute fallen in dieser Zeit mindestens drei Vasen herunter… Aber ich geniesse die Zeit mit meinem Sohn, am liebsten würde ich den ganzen Tag mit ihm spielen. Was aber auch nicht gut wäre. Spätestens nach fünf Jahren würde es dann heissen: «Hey, Papi, wann gehst du endlich wieder arbeiten? Ich brauche meine Freiräume!»
  135.  
  136. SF:
  137. Sind bei Schenkels die Rollen «normal» verteilt: Der Mann arbeitet, die Frau schaut nach Haus und Kind?
  138.  
  139. Schenkel:
  140. Nein, so normal nun auch wieder nicht – weil wir ein Familienunternehmen sind. Bei allem, was Musik anbelangt, hilft meine Frau extrem mit: Sie verhandelt, sie macht die Dispositionen mit der Band… Im Gegenzug versuche ich, so viel wie möglich im Haushalt mitzuhelfen, schaue nach Jonah und so. Trotzdem habe ich immer ein leicht schlechtes Gewissen, wenn ich sehe, wie wenig Zeit meine Frau für sich selbst hat.
  141.  
  142. SF:
  143. Sie besuchten die Rudolf-Steiner-Schule – hat Sie das geprägt?
  144.  
  145. Schenkel:
  146. Als Kind soll ich in verschiedener Hinsicht sehr talentiert gewesen sein, aber meine Mutter wollte nicht, dass meine Ausbildung zu kopflastig würde. So kam ich in die Steiner-Schule. Das war gut für mich, denn ich hatte Mühe, mit all diesen Begabungen umzugehen. Ich denke, in einem leistungsorientierten Schulsystem wäre ich zugrunde gegangen. Ich tue mich auch heute noch schwer mit Autoritäten.
  147.  
  148. SF: Werden Sie Ihren Sohn auch in die Steiner- Schule schicken?
  149.  
  150. Schenkel:
  151. Ich glaube nicht. Nur, weil es mir dort einigermassen gut ging, heisst das nicht, dass dies auch für ihn gilt. In der Steiner-Schule läuft man Gefahr, die Realität etwas aus den Augen zu verlieren.
  152.  
  153. SF:
  154. Sie waren ein Einzelkind. Wünschten Sie sich nie Geschwister?
  155.  
  156. Schenkel:
  157. Nicht wirklich. Eigentlich habe ich immer genug Leute um mich herum gehabt. Als Einzelkind hat man praktisch nur Vorteile.
  158.  
  159. SF:
  160. Man muss beispielsweise das Essen nicht teilen…  apropos Essen:
  161. Ernähren Sie sich bewusst?
  162.  
  163. Schenkel:
  164. Nach der Operation war ich recht hysterisch, was das Essen anbelangt. Ich beschäftigte mich damit, was krebsfördernd ist und was nicht. Aber irgendwann musste ich damit aufhören: Ich kann mich doch nicht bei jedem Bissen hintersinnen. Ich würde mir damit bloss ein neues Geschwür einhandeln.