From Wet Plover, 11 Years ago, written in Plain Text.
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  1. Was Kinder vermissen, sind erwachsene Leitfiguren. „Es gibt keine Vorbilder“, schreibt DANA HOVÁKOVÁ (2006), „zu denen die Vier- bis Dreizehnjährigen aufblicken können. Das Kind ist kein Verbindungsglied mehr, sondern ein Einzelner, der aus der Erwachsenenwelt entfernt wurde.“ Doch nur äußerst selten wird Kindern erlaubt, zu erwachsenen Personen außerhalb des Familien- und Bekanntenkreises eine freundschaftliche Beziehung zu unterhalten. So bauen die Jungen und Mädchen in ihrer Sehnsucht nach Vorbildern virtuelle „Beziehungen“ auf, die bei ihnen in Form von Werbeikonen, Fernsehidolen und von der Unterhaltungsbranche geschaffenen Stars als Leitfiguren fungieren und dabei vielfach fragwürdige „Werte“ vermitteln. Dabei ist es durchaus nicht so, dass die Gesellschaft kein Bewusstsein dafür hätte, welche Bedeutung Werte in einem sozialen Gemeinwesen haben. In Befragungen unter der Bevölkerung betonen die meisten die Wichtigkeit von Freiheit, Gleichheit, Toleranz, Ehrlichkeit und Nächstenliebe. Was aber leider viel zu oft fehlt sind Personen, die diese Werte ausleben – mit einem Wort: Vorbilder. Dabei müssen Menschen, die eine Leitbildfunktion erfüllen, nicht fehlerlos sein; entscheidend ist vielmehr, dass sie authentisch sind und das verkörpern, was sie sagen. Junge Menschen haben ein feines Gespür und merken schnell, wenn ihnen die Großen etwas vormachen oder das, was sie bei anderen erwarten, selbst nicht erfüllen.
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  3. Aus Frust und Langeweile verbringen viele Kinder und Jugendliche immer mehr Zeit in einer virtuellen Welt mit Computerspielen oder vor dem Fernseher, wo ihnen fragwürdige Inhalte geboten werden. Noch nie verfügten so viele Kinder über so viele Informationsquellen und so viel Wissen wie heute, doch sind die oft nicht in der Lage, damit adäquat umzugehen. „Sie vermissen einen ethischen Rahmen, der den Umgang mit ihrem Wissen regelt. (...) Die Kinder des Informationszeitalters hungern nach echten Menschengeschichten, doch »vergeuden« sie ihre Sehnsucht mit Mailen, SMS und Surfen in virtuellen Internetdör-
  4. fern“ (Horáková 2006).
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  6. Die Medien berichten über steigende Kriminalitätsraten bei „Minderjährigen“, eine Zunahme von Gewalthandlungen unter Jugendlichen und Kindern und von häufigen Schul- und Ausbildungsabbrüchen (vgl. Röll und Özgenc 1997; Hilbig 1998; Focus, 23/1998). Um dem entgegenzuwirken, werden staatliche Maßnahmen, kommunale Betreuungseinrichtungen, finanzielle Zuschüsse für Familien und bessere Präventionsprogramme an den Schulen gefordert. Es wird viel diskutiert über Ursachen, Prognosen und Abhilfe schaffende Programme, doch effektive Lösungen sind keine in Sicht. Hat man aber je davon gehört, dass in Betracht gezogen worden wäre, jene Menschen mit einzubeziehen, die Kinder am besten verstehen, die bereit sind, ihnen die meiste Geduld, Aufmerksamkeit und Zuwendung entgegenbringen, für die es nicht Pflicht und Amt ist sondern Glück bedeutet, mit Heranwachsenden umzugehen, sie zu unterstützen und für ihr Wohl zu arbeiten? „Rossman (1976; d. Verf.) (...) betont, daß eine pädophile Beziehung oft sogar eine vorteilhafte Auswirkung haben kann, z.B. daß der Junge sich besser auf seine Schulaufgaben konzentriert, weniger dummes Zeug macht, umgänglicher wird und daß solche Beziehungen unmittelbar kriminalitätsvorbeugend wirken können“ (Hertoft 1989).
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  8. Von einer solchen Einsicht ist die Gesellschaft noch weit entfernt. Im Gegenteil: Pädophile sollen künftig nach Möglichkeit gezielt und konsequent von einem offiziellen (beruflichen oder ehrenamtlichen) Umgang mit Kindern und Jugendlichen ausgeschlossen werden (vgl. Deutscher Bundestag 2011a).