From Voluminous Peccary, 10 Years ago, written in Plain Text.
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  1. Ich war ja  Charlie, aber nachdem ich gesehen habe, wieviele Gewalttäter da mitmachen, bin ich aus dieser Kirche gleich wieder ausgetreten. Nicht aus mangelndem Mitgefühl für die Opfer, nicht aus mangelndem Abscheu vor dem Wahnsinn, mit Maschinengewehren auf Zeichner loszugehen, auch nicht aus einem Hauch von Verständnis für die Motive der Täter – aber dieser “Solidaritäts”-Hype, dieser Brummton der Betroffenheit,  war einfach nicht mehr auszuhalten. Diese ganzen Parasiten, die  auf der Tragödie ihr Süppchen kochen, die “Brennpunkte” mit 5% Nachrichten und 95 % Blabla, die Experten und Leitartikler die davon faseln dass “der Islam” jetzt “ein Problem” hätte (als ob “das Christentum” ein  “Problem” damit hatte, dass George W.Bush verkündete, “Gott” hätte ihm befohlen, “den Irak von der Tyrannei zu befreien”) – kurz: wer da alles und wie mit mir als Charlie für die “Freiheit” und gegen den “Terror” streitet ist mir nicht geheuer, weshalb ich dem grassierenden Charlietum, dem allfälligen Hebdonismus, nach kaum zwei Tagen wieder entsagen mußte. Den überlebenden Mitarbeitern von “Charlie Hebdo” geht es wohl ähnlich: “Wir kotzen im Strahl auf all diese Leute, die auf einmal unsere Freunde sein wollen”, sagt etwa der Zeichner Bernhard Holtrop.
  2. Weil ich auf einer anderen Baustelle ziemlich beschäftigt war, konnte ich den ganzen Merkwürdigkeiten des Falles  – der Identifizierung  der Täter über den im Fluchtauto liegen gebliebenen Ausweis, dem Selbstmord eines ermittelneden Kommissars, die Tatsache, dass die erschossenen Täter den Geheimdiensten zuvor bekannt waren und “überwacht” wurden, dem merkwürdigen Kopfschuss ohne Blut auf den Polizisten  – nicht weiter nachgehen. Fragen scheint es jedenfalls eine Menge zu geben, sie müssen gestellt und beantwortet werden, von den Journalisten und von der Polizei. Nur wenn sie beantwortet werden, wenn die bisher ja nur verdächtigen (und erschossenen), nicht aber wirklich überführten Täter ermittelt, ihre Motive und Hintergründe aufgeklärt sind, kann über angemessene Reaktionen auf diesen Anschlag diskutiert werden. “Vereint gegen den Terror” zu sein, wie die massenhaften “Charlie”-Demos interpretiert wurden, bringt gar nichts,  wenn die Ursachen und die Hintermänner des Terrors im Dunkeln bleiben. Und danach sieht es leider – mal wieder – aus.
  3. “Wer nicht kritisch über die liberale Demokratie reden will, sollte auch über den religiösen Fundamentalismus schweigen” kommentierte Slavoj Žižek die Ereignisse und den “falschen” Konflikt Liberalität vs. Fundamentalismus. Dem kann man nur zustimmen wenn man das ganze aktuelle Geschwalle über “den Islam” zur Kenntnis nimmt. Es geht nicht um Koran vs. Bibel, um Moslems vs. Christen vs. Juden, Religion vs. Aufklärung, Zivilisation vs. Barbarei – es geht um Oben gegen Unten. Es geht um die “liberalen Demokratien”, die Terror vor ihrer Haustür verabscheuen, ihn aber anderswo seit je betrieben haben und betreiben und sich dann wundern, wenn er zurückschlägt; die den radikalen bewaffneten Islamismus herangezüchtet und aufgerüstet haben und mit ihm wie jetzt in Libyen, Syrien und anderswo gemeinsame Sache machen; die sich den “Clash of Civilisations” ausgedacht und in Gang gesetzt haben um nach dem Wegfall des “Kommunismus” einen neuen Weltfeind zu schaffen, der die Rüstungsbudgets sichert. Und einen “war on terror” der niemals aufhört, weil man Terror nicht mit Terror bekämpfen kann und jede Drohne, jede in die Luft gejagte Hochzeitsgesellschaft stets neue Terroristen produziert. Ad infinitum.