- „Bei solchen Beziehungen mache ich mir mehr Sorgen um den Erwachsenen
- als um das Kind. Es ist immer die Umwelt, die solche Beziehungen problematisch
- findet", erzählt John, 50 Jahre alt. John zog neun Kinder auf: ein eigenes, vier
- offizielle Pflegekinder und vier weitere Kinder, bei denen die Eltern nacheinander
- zustimmten, daß die Kinder zu ihm zogen. Vier der Kinder hatten eine Beziehung
- zu einem Erwachsenen. Ein Kind möchte nicht, daß John dessen konkrete
- persönlichen Erfahrungen erzählt. Er spricht deshalb nur in allgemeiner Form als
- Elternteil und Heimerzieher. John sagt:
- „Kinder wählen sich selbst ihre Beziehungen. Die Macht, die ich ausüben
- könnte, nehme ich aber nicht in Anspruch, und ich will es auch nicht. Ich stehe
- dem Kind am nächsten. Das bedeutet auch, daß ich gelegentlich im Konflikt mit
- der Gesellschaft stehe. Selbstverständlich habe ich im Haus das letzte Wort. Aber
- das kommt höchstens zweimal im Jahr vor. Kinder haben das erste Wort, und das
- kommt täglich vor. Wählt ein Kind eine Beziehung, die mir nicht gefällt,
- besprechen wir es zusammen. Denn die Beziehung zu deinem eigenen Kind hält
- durch dick und dünn. Schließlich kann man als Eltern oder Pflegeeltern nicht
- einfach sagen ‚Hau' ab!’, wenn ein Kind stiehlt, albern oder garstig ist.
- Pädophile Beziehungen haben ihren eigenen Wert, ihre Kraft und ihre
- Schwäche. Daß das Kind dabei ein kleiner König ist, nun ja, ich gönne es ihm. Das
- hat einen eigenen Wert, den ich ihm als Elternteil nicht bieten kann. Denn ich hab'
- noch andere Kinder, einen Haushalt und eine Arbeitsstelle. In einem Kinderheim
- hatte ich es als Gruppenleiter manchmal mit Ausreißern zu tun. Die wußten ihre
- Leute schon zu finden. Ich fand sie heraus, gelegentlich richtig im Bett mit einem
- Mann. Ja, die lagen da ganz behaglich. Daß die Kinder allen Grund hatten, Trost zu
- suchen, hat mich immer davon abgehalten, dem auf dem Weg der offiziellen
- Gewalt ein Ende zu bereiten. Ich habe wohl schon mal gedacht: Könnte ich die
- Wärme und Aufmerksamkeit nur auch bieten! Eingegriffen habe ich nur, wenn die
- Kinder den Erwachsenen erpreßten.
- Was kann man für Kinder tun? Man weist sie auf Verhütungsmittel hin, aber
- meist haben sie das schon lange auf dem Schulhof erfahren. Praktische
- Entscheidungen, die man als Erwachsener fällen muß, werden mitgeteilt:
- Einwilligung zum Übernachten, Absprache über Zeiten. Man muß dann auch den
- Erwachsenen als Besuch bei seinem Kind akzeptieren, auch in dessen eigenem
- Zimmer. Man darf da nicht gerade zufällig Staub wischen. Ich mache mir bei
- solchen Beziehungen immer mehr Sorgen um den Erwachsenen, Freund oder
- Freundin, als um das Kind. Die Erwachsenen sind erpreßbar! Sie sind verletzlich
- und unsicher.
- Mit dem sexuellen Aspekt habe ich persönlich keine Schwierigkeiten. Kinder
- kriechen bei ihren Eltern ins Bett, gehen mit ihnen unter die Dusche. Wenn man
- das zuläßt, wird man merken, daß sie gesund neugierig sind auf den Körper und
- die Sexualität der Eltern. Dann sage ich: Nun, das ist gut. Man lasse ruhig seinen
- Körper anschauen, lasse ein sexuelles Leben als Eltern ruhig anschauen. Man lasse
- das Kind dazu, erzähle von seinem Gefühl, lasse seine Erregung ruhig sehen. Laß
- sie doch miterleben, wie dein sexuelles Leben ist. Der große Vorteil ist, daß du
- später hörst, was sie selbst erleben. Andererseits ziehen Kinder auch ihre Grenzen.
- Aber sie finden es nicht problematisch, das meiste mit den Erwachsenen zu teilen.
- Es ist immer die Außenwelt, die das problematisch findet.
- Kinder suchen selbst. Das geschieht vor allem in den Übergangsjahren, mit
- zehn, zwölf, vierzehn, sechzehn, wenn sie selbst mehr Abstand von ihren Eltern
- nehmen. Die Eltern sind in ihren Augen zeitweise eben Greise. Der Freund ist dann
- alles; für eine gewisse Zeit entspricht er dem Ideal. Aber nach einem Jahr wird
- alles wieder normal. Manchmal ist es plötzlich aus, aber meist geht es allmählich
- zu Ende. Beide haben dann andere Bedürfnisse. Es ist auch ein bleibendes
- Verhältnis herausgekommen, ein gutes Verhältnis.
- Kinder sind doch kein Besitz der Eltern. Kinder laufen mit hundert
- Heimlichkeiten herum, das ist ein Stückchen Eigenheit, das finden sie wohl auch
- spannend. Es gibt auch Geheimnisse, die als Kern Freiheit haben. Daß Kinder zum
- Geheimhalten gezwungen werden, geschieht gerade wegen der üblichen
- Machtverhältnisse, der Schule, der Familie. Besonders Pädophile sind sehr
- verwundbar, sehr ohnmächtig. Sie können angezeigt werden. In letzter Instanz ist
- immer das Kind der Mächtige. Das Kind kann mit seinen Eltern reden, es kann von
- dem Erwachsenen einfach wegbleiben. Eltern und Lehrer beispielsweise haben viel
- mehr Macht über ein Kind. Ich selbst strebe nach Machtgleichgewicht in dem
- Verhältnis zu Kindern."