From Sharp Marten, 6 Years ago, written in Plain Text.
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  1. „Bei solchen Beziehungen mache ich mir mehr Sorgen um den Erwachsenen
  2. als um das Kind. Es ist immer die Umwelt, die solche Beziehungen problematisch
  3. findet", erzählt John, 50 Jahre alt. John zog neun Kinder auf: ein eigenes, vier
  4. offizielle Pflegekinder und vier weitere Kinder, bei denen die Eltern nacheinander
  5. zustimmten, daß die Kinder zu ihm zogen. Vier der Kinder hatten eine Beziehung
  6. zu einem Erwachsenen. Ein Kind möchte nicht, daß John dessen konkrete
  7. persönlichen Erfahrungen erzählt. Er spricht deshalb nur in allgemeiner Form als
  8. Elternteil und Heimerzieher. John sagt:
  9. „Kinder wählen sich selbst ihre Beziehungen. Die Macht, die ich ausüben
  10. könnte, nehme ich aber nicht in Anspruch, und ich will es auch nicht. Ich stehe
  11. dem Kind am nächsten. Das bedeutet auch, daß ich gelegentlich im Konflikt mit
  12. der Gesellschaft stehe. Selbstverständlich habe ich im Haus das letzte Wort. Aber
  13. das kommt höchstens zweimal im Jahr vor. Kinder haben das erste Wort, und das
  14. kommt täglich vor. Wählt ein Kind eine Beziehung, die mir nicht gefällt,
  15. besprechen wir es zusammen. Denn die Beziehung zu deinem eigenen Kind hält
  16. durch dick und dünn. Schließlich kann man als Eltern oder Pflegeeltern nicht
  17. einfach sagen ‚Hau' ab!’, wenn ein Kind stiehlt, albern oder garstig ist.
  18. Pädophile Beziehungen haben ihren eigenen Wert, ihre Kraft und ihre
  19. Schwäche. Daß das Kind dabei ein kleiner König ist, nun ja, ich gönne es ihm. Das
  20. hat einen eigenen Wert, den ich ihm als Elternteil nicht bieten kann. Denn ich hab'
  21. noch andere Kinder, einen Haushalt und eine Arbeitsstelle. In einem Kinderheim
  22. hatte ich es als Gruppenleiter manchmal mit Ausreißern zu tun. Die wußten ihre
  23. Leute schon zu finden. Ich fand sie heraus, gelegentlich richtig im Bett mit einem
  24. Mann. Ja, die lagen da ganz behaglich. Daß die Kinder allen Grund hatten, Trost zu
  25. suchen, hat mich immer davon abgehalten, dem auf dem Weg der offiziellen
  26. Gewalt ein Ende zu bereiten. Ich habe wohl schon mal gedacht: Könnte ich die
  27. Wärme und Aufmerksamkeit nur auch bieten! Eingegriffen habe ich nur, wenn die
  28. Kinder den Erwachsenen erpreßten.
  29. Was kann man für Kinder tun? Man weist sie auf Verhütungsmittel hin, aber
  30. meist haben sie das schon lange auf dem Schulhof erfahren. Praktische
  31. Entscheidungen, die man als Erwachsener fällen muß, werden mitgeteilt:
  32. Einwilligung zum Übernachten, Absprache über Zeiten. Man muß dann auch den
  33. Erwachsenen als Besuch bei seinem Kind akzeptieren, auch in dessen eigenem
  34. Zimmer. Man darf da nicht gerade zufällig Staub wischen. Ich mache mir bei
  35. solchen Beziehungen immer mehr Sorgen um den Erwachsenen, Freund oder
  36. Freundin, als um das Kind. Die Erwachsenen sind erpreßbar! Sie sind verletzlich
  37. und unsicher.
  38. Mit dem sexuellen Aspekt habe ich persönlich keine Schwierigkeiten. Kinder
  39. kriechen bei ihren Eltern ins Bett, gehen mit ihnen unter die Dusche. Wenn man
  40. das zuläßt, wird man merken, daß sie gesund neugierig sind auf den Körper und
  41. die Sexualität der Eltern. Dann sage ich: Nun, das ist gut. Man lasse ruhig seinen
  42. Körper anschauen, lasse ein sexuelles Leben als Eltern ruhig anschauen. Man lasse
  43. das Kind dazu, erzähle von seinem Gefühl, lasse seine Erregung ruhig sehen. Laß
  44. sie doch miterleben, wie dein sexuelles Leben ist. Der große Vorteil ist, daß du
  45. später hörst, was sie selbst erleben. Andererseits ziehen Kinder auch ihre Grenzen.
  46. Aber sie finden es nicht problematisch, das meiste mit den Erwachsenen zu teilen.
  47. Es ist immer die Außenwelt, die das problematisch findet.
  48. Kinder suchen selbst. Das geschieht vor allem in den Übergangsjahren, mit
  49. zehn, zwölf, vierzehn, sechzehn, wenn sie selbst mehr Abstand von ihren Eltern
  50. nehmen. Die Eltern sind in ihren Augen zeitweise eben Greise. Der Freund ist dann
  51. alles; für eine gewisse Zeit entspricht er dem Ideal. Aber nach einem Jahr wird
  52. alles wieder normal. Manchmal ist es plötzlich aus, aber meist geht es allmählich
  53. zu Ende. Beide haben dann andere Bedürfnisse. Es ist auch ein bleibendes
  54. Verhältnis herausgekommen, ein gutes Verhältnis.
  55. Kinder sind doch kein Besitz der Eltern. Kinder laufen mit hundert
  56. Heimlichkeiten herum, das ist ein Stückchen Eigenheit, das finden sie wohl auch
  57. spannend. Es gibt auch Geheimnisse, die als Kern Freiheit haben. Daß Kinder zum
  58. Geheimhalten gezwungen werden, geschieht gerade wegen der üblichen
  59. Machtverhältnisse, der Schule, der Familie. Besonders Pädophile sind sehr
  60. verwundbar, sehr ohnmächtig. Sie können angezeigt werden. In letzter Instanz ist
  61. immer das Kind der Mächtige. Das Kind kann mit seinen Eltern reden, es kann von
  62. dem Erwachsenen einfach wegbleiben. Eltern und Lehrer beispielsweise haben viel
  63. mehr Macht über ein Kind. Ich selbst strebe nach Machtgleichgewicht in dem
  64. Verhältnis zu Kindern."